Die Sache mit dem Auerhahn

Wann sich die Sache zugetragen hat, ist nicht genau überliefert. Es wird aber so um das Jahr 1710 gewesen sein, als im Frühjahr der Mandelner Förster Johann Conrad Opfermann – er bekleidete außerdem noch das Amt des Heimbergers im Ort – größte Probleme mit seinen Mandelner Mitbürgern bekam. Dass die Geschichte sich zu dieser Jahreszeit zutrug steht fest, denn es war Auerhahnbalz in der Dietzhölze und diese fiel immer in die Monate April/Mai.

Und eben um diese Balz ging es, als besagter Förster bei seinem obersten Chef, dem im Dietzhölztaler Jagdhaus Wilhelmsthal anlässlich der Hahnenjagd weilenden Fürsten Wilhelm von Nassau Dillenburg (1701 bis 1724), zum Rapport erschien. In der darauf folgenden Nacht wurden dann dem Förster und Heimberger an seinem Haus in Mandeln von Unbekannten die „Fiester“ (Fenster) eingeschlagen.

Durchlauchtigster Fürst, gnädigster Fürst und Herr
Als ich Ew. Hochfürsliche Durchlaucht jüngst hier im Reithauß (= u.a. Domänenverwaltung, in diesem Fall das Jagdhaus Wilhelmsthal) wegen der Urhaan Pfalz Bericht erteilet, sind in der selben Nacht mir in meinem Wohnhaus die Fiester eingeschlagen worden. Von etlichen aus unserer Gemeinde, welche beim Reithaus gestanden und gelaustert ( gehorcht) hatten, wurden dem Herrn Oberforstmeister und seinem Sohn, dem Oberförster von Laasphe aus der Grafschaft Wittgenstein, mit lauter Lügen berichtet, als sollte ich Ew. Hochfürstl. Durchl. berichtet haben, als hetten die beyden den Haan auff dem Siegnischen Boden geschossen und davon gebracht, welches aber die lautere Unwahrheit ist, den der Haan auff dem Siegnischen Boden ist von ihren Landes Jägern selbsten geschossen worden, wo von ich auch Ew. Hochfürstl. Durchlaucht Bericht ertheilet.

Weillen aber mein Nachbar Jacob Franck mit mir gegangen, und damals auf dem Gräntzweg gestanden ist, und gehöret hat, daß der Haan geschossen und vom Baum herunter gefallen ist, ist er zu mir gelaufen kommen und hat gesagt, der Haan uff dem Damm (Bezeichnung für eine bestimmte Stelle im Dietzhölzer Forst) werr nun fort. Als ich ihn gefragt habe, ob er nit wüßte wer es gethan hat, hat er mir zur Antwort gegeben, er wüste nit gewiß ob es Siegnische oder Wittgensteinische geweßen seien. Aber nun hätte er erfahren und ausgekundschaftet, daß es vier Personen von den Siegnischen Jäger geweßen sind.

Nach all deme nun hat Jacob Franck seinen Kohl (gemeint ist Holzkohle), so er uff dem Wittgensteinischen Boden gebrännt hat, vergangen Freytag hat schätzen lassen. Da hat der Herr Oberforstmeister ihm selbiges so geschätzt, daß er seine Mühe und sawrer Arbeit alle vergebens gethan hat und auch noch zu ihme gesagt, er müßte entgelten, daß er zu mir gesagt hette, sie hetten den Haan geschossen und gestohlen, welches aber die lautere Unwahrheit ist.

Also gelanget an Ew. Hochfürstl. Durchlaucht mein underthänigstes Bitten, Sie wollen gnädigst geruhen und vom Herrn Oberforstmeister erkundigen, welche diejenige geweßen, so mich heimlicher Weise verleumbdet und die Unwahrheit fälschlicherweise nachgeredet haben, weilen ich in ayds stehe (= vereidigt bin) und solches keines Wegs uff mir kann sitzen lassen. Auch unsere gantze Gemeinde ist mir gantz zu wider. Sie schänden und schmähen mich, wo sie können, worüber gnädigster Erscheinung mich getröste.

Ew. Hochfürstl. Durchlaucht Unterthänigst gehorsamer
Johan Conrad opfermann, Förster und Heimberger zu Mandeln.

Den Anlass dazu hatte ein in der Dietzhölze, nahe an der Grenze zum Siegerland erlegter Auerhahn gegeben, wobei es über den zunächst unbekannten Schützen naturgemäß zu Spekulationen kam. Dieser Hahn wird dann auch das Hauptthema beim vorausgegangenen Opfermannschen Rapport gewesen sein. Zur Aufklärung dieser mysteriösen Sache wollen wir aber zuerst einmal das von dem Förster Opfermann zu diesem Hergang verfasste und nach Dillenburg gesandte Schreiben betrachten. Der Text wurde an manchen Stellen dem heutigen Sprachgebrauch angepasst. Interessant ist der Wortlaut einiger Wörter, die auch heute noch so im heimischen Dialekt vorhanden sind.

Heute würde man das, wie damals vor fast 300 Jahren mit dem Förster Opfermann und seinem Nachbarn Jacob Franck verfahren wurde, als Mobbing auf hohem Niveau bezeichnen. Aber die Sache war seinerzeit noch anders, denn es ging dabei um die Holzkohle und um die Möglichkeit, das dafür benötigte Holz zu bekommen. Da hierzu die Mandelner Kohlenbrenner auf Kohlholz aus der Wittgensteiner Grafschaft angewiesen waren, wurde die beschriebene Situation von den erwähnten zuständigen Forstbeamten gnaden- und skrupellos ausgenutzt. Die Willkür des Wittgensteiner Oberforstmeisters beim Abschätzen der Kohle des Jacob Franck macht das besonders deutlich. Den Einheimischen blieb letztendlich gar keine andere Wahl, wegen ihrer Abhängigkeit von den Laaspher Förstern deren Partei zu ergreifen, denn von den erzielten Erträgen aus der verkauften Holzkohle hing das Wohlergehen des ganzen Dorfes ab. Wer aber damals tatsächlich den Auerhahn erlegte, wird nicht übermittelt.

Harro Schäfer

Quelle: Staatsarchiv Wiesbaden
Abt. 171, Nr.3451

Forsthaus Dietzhölze

Das Dietzhölzer Forsthaus wurde während der Regierungszeit von Herzog Adolf von Nassau (1839 bis 1866) errichtet. Nach Baubeginn in 1842 erfolgte die Fertigstellung im Sommer 1843. Später kamen noch Stall und Scheune hinzu, und Anfang der 1850er Jahre auch ein Backhaus, das aber 1939 im Zuge der Forsthauserweiterung zum Abbruch kam.

Aus welcher Zeit diese Aufnahme stammt, ist nicht übermittelt. Sie dürfte aber im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts entstanden sein. Auf dem Bild ist noch an der linken Seite des Forsthauses das Backhaus zu sehen, das 1939, wie schon erwähnt, wegen anderen Baumaßnahmen abgerissen wurde.

Harro Schäfer